Helen Vita: Frecher geht´s nicht

Brecht entdeckte ihre Komik, Staatsanwälte machten sie populär: Nahezu täglich hatten Hans R. Beierlein und seine Edition Montana ab 1962 mit Staatsanwälten zu tun – jahre-lang. Dabei ging’s nicht um Mädchenhandel, nicht um Waffen-geschäfte, nicht um Bankraub. Es ging um kleine Texte, über die man heute amüsiert schmunzelt. Anfang der 1960er Jahre aber trieben sie Staatsanwaltschaft und Bundesprüfstelle die Schamröte ins Gesicht und ließen sie in übereifrigen Verfolgswahn verfallen.

In Frankreich hat man sich seit Menschengedenken mit frivolen Liedern an Fürstenhöfen, in Variétés und in Bordellen amüsiert. In Plattenrillen gepresst wurden sie im Nachkriegs-Frankreich ein ziemlicher Erfolg. Beierlein, der die sexuelle Befreiungswelle der Deutschen parallel mit Oswalt Kolle erahnte, ließ die Texte übersetzen. In Walter Brandin fand er einen kongenialen Dichter, der die frankophilen Frivolitäten in die Sprache Goethes umtextete. Die richtige Interpretin fand Beierlein in einer 35-jährigen Schauspielerin und Chansonette, die in Spielfilmen und im Kabarett vorwiegend dralle Rollen übernahm: Helen Vita.

1963 kam eine Langspielplatte mit dem Titel „Freche Chansons aus dem alten Frankreich“ auf den Markt und erregte spontan den Unmut eines Staatsanwaltes: „Solche Dinge gehören ins Dunkel und vor allem nicht gesungen!“, schrieb er schmallippig an die Edition Montana. Die reagierte rasch und brachte „Noch frechere Chansons“ auf den Markt. Beierlein: „Natürlich durften die Lieder weder im Radio und erst recht nicht im Fernsehen gespielt werden. Die Programmmacher wurden per Ukas angewiesen, die Platten mit einem Nagel unbrauchbar zu machen oder im Giftschrank aufzubewahren. Die Cover erhielten den Aufdruck ‚Für Jugendliche verboten‘ und durften nur unterm Ladentisch aufbewahrt werden. Das hat die Verkäufe ungemein beflügelt.“ Parallel und medienmäßig höchst verwertbar erhielt Helen Vita für ihre Werke gleich zweimal den Deutschen Schallplattenpreis, die Vorgängertrophäe des „Echo“.

Texter Walter Brandin gingen die französischen Vorlagen aus, er bediente sich schließlich auch beim pikanten Volksgut in England und Amerika. Sechs noch heute begehrte Sammlerstücke entstanden, zu guter Letzt „Die 20 frechsten der frechen Chansons“. Dann war die Luft raus, seit den 68ern wurde über Sexualität nicht mehr feingeistig frivol gesprochen oder gesungen, sondern offen und derb.

Helen Vita drehte noch zahlreiche Filme und Fernsehstücke, sie stand als brillante Tucholski- und Brecht-Interpretin auf der Bühne. 2001 starb sie im Alter von 72 Jahren.