Les oiseaux de lune

LES OISEAUX DE LUNE
TV-Film 1971/1974
Regie: André Barsacq, nach Marcel Aymé Kamera: Philippe Bataillon Bühne und Kostüme: Jacques Noël Schnitt: Christiane Coutel Regieassistenz: Liliane Widemann Script: Dagmar Bolin Kameramänner: Jacques Baujard, Philippe Dumolard, Jean-Pierre Lanvin, Bild: Lucien Laplace Produktionsleitung:  Christian Jory EA: 12.08.1974
Darsteller: Jacques Duby (Valentin), Claude Jade (Sylvie), Jean-Gabriel Nordmann (Martinon), Pascale de Boysson (Elisa), Marcel Cuvelier (Chabert),  Daniel Rivière (Arbelin), Philippe Noël (Duperrier), Madeleine Barbulée (Madame Bobignot), Henri Lambert (Malfrin), Pierre Arditi (Grindot), Luce Garcia-Ville (Amandine Chabert), Claude Aufaure (Etienne Parisson), Françoise Arnaud (Martine), Josyane Heuillet (Ariane), Jean Péméja (Parisson), France Gabriel (Mme Martinon), Pierre Montcorbier (Inspektor der Akademie), Jean Goulet (Generalinspektor), Marius Balbinot (Maurin).

Marcel Aymés „Die Mondvögel“ wurde von André Barsacq, dem Regisseur der Uraufführung, mit Jacques Duby, der die Rolle 1955 kreiert hatte, und Claude Jade in den Hauptrollen für Bühne und Fernsehen inszeniert. Lehrer Valentin (Duby) kann Menschen in Vögel verwandeln, Sekretärin Sylvie (Jade) ist dabei häufig Auslöser, nicht zuletzt, weil Valentin in sie verliebt ist.  

Jean-Gabriel Nordmann, Claude Jade, Les oiseaux de lune

1971 widmet sich Claude Jade kurzzeitig dem Theater. Sie tritt mit Philippe Étesse am Pariser Palais Royal in Julien Bertheaus Inszenierung von Sacha Guitrys „Je t’aime“ auf. Auf eine der drei Vorstellungen ist Claude Jade nicht stolz. Der Text war „zu frisch“ angelernt, um ihn gründlich zu kennen. Als sie allein auf der Bühne steht, befällt sie ein plötzlicher Aussetzer, ein Gedächtnisloch. Als ihr der Text souffliert wird und sie ihn nicht versteht, lacht sie plötzlich. Ein Lachen, das in keiner Verbindung zum Stück steht. Je mehr souffliert wird, umso mehr muss die Verzweifelte lachen. Die Schande lässt sich nicht aufhalten, bis Étesse auf die Bühne kommt und mit zwei Sätzen improvisiert, so dass sie den Text und ihre Ersthaftigkeit wiederfindet. Am Ausgang rügt der sonstige Bewunderer Jean-Claude Brialy die junge Kollegin, ihre Attitude sei unprofessionell gewesen. Jean-Michel Rouzière, der Direktor des Palais Royal, engagiert Claude Jade nach dieser kleinen Katastrophe kein weiteres Mal.

Claude Jade gesteht in ihren Erinnerungen „Baisers envolés“, welch Glück sie hatte, dass ein wichtiger Theatermann nicht in jener Vorstellung am Palais Royale war: André Barsacq, Leiter des Théâtre de l’Atelier. Im Frühling 1971 übernimmt sie bei ihm die Rolle der Sylvie in Marcel Aymés  „Les Oiseaux de lune“ (Die Mondvögel).
André Barsacq hatte das Stück 1955 am selben Haus uraufgeführt. In seiner neuen Inszenierung ist aus der Originalbesetzung der alterslos jungenhafte Jacques Duby als Valentin ebenso mit von der Partie wie Pascale de Boysson als dessen ungebliebte Frau und Madeleine Barbulée als Madame Bobignot.
Claude Jade übernimmt die 16 Jahre zuvor von Françoise Rasquin entwickelte Rolle der Sylvie.

Jacques Duby, Claude Jade, Marcel Cuvelier, Pascale de Boysson

Jacques Duby, Claude Jade, Marcel Cuvelier, Pascale de Boysson

Inmitten des freudlosen Universums eines Internats entdeckt der Aufseher und Lehrer Valentin (Jacques Duby) in der jungen Sekretärin Sylvie (Claude Jade) das einzig Liebenswerte in einer von Verlogenheit und Gefallsucht, Egoismus und Bosheit, Geldgier und Geiz bestimmten Umgebung.
Valentin ist in sinnloser Formalität unglücklich verheiratet mit Elisa (Pascale de Boysson), der als hässlich bewerteten Tochter des Schuldirektors Chabert (Marcel Cuvelier). Während Chaberts Frau (Luce Garcia-Ville) ihr unerfülltes Leben durch den Luxus auffälliger Hüte aufzuwerten und Liebschaften trachtet, sind seine Schwiegersöhne, Gatten von Elisas Schwestern Martine und Ariane, Taugenichtse, die nur ein Übermaß an unerwünschten Kindern in die Welt zu setzen wissen.
Der Boshaftigkeit in der Familie der Schulleitung stehen auch die Schüler mit ihrer Dummheit und Triebhaftigkeit in nichts nach und auch deren Eltern sind in ihrer Grausamkeit Anlass für Valentin, angesichts dieses ingesamt wenig menschenwürdigen Daseins, die Menschheit ringsumher in Vögel zu verwandeln, was er bezeichnenderweise eine „geistige Operation“ nennt. So verzaubert Valentin kurzentschlossen all jene, die Sylvie bedrohen und die ihn „genieren“, wie er es nennt.

Valentin (Jacques Duby) verwandelt Madame Chabert (Luce Garcia-Ville) in ein Vögelchen, dem Sylvie (Claude Jade) und Martinon (J.G. Nordmann) die Freiheit schenken

Zuerst trifft es – noch im Off – den Kollegen Ernest Bobignot, der Sylvie bedrängt hat, dann die matronenhafte Schwiegermutter, die bisher ihr Vergnügen darin fand, Sylvie als Untergebene zu gängeln oder Valentin damit aufzuziehen, dass er in Sylvie verliebt sei. Amandine Chabert droht Valentin, Sylvie zu entlassen – es sei denn, er komme abends  als Liebhaber zu ihr… Aus Madame Chabert wird ein Vöglein. Direktor Chabert ist kurz entsetzt, doch findet sich mit den Umständen ab. Von ihm beauftragt, auf den im vergoldeten Käfig sitzenden Vogel aufzupassen, wird Sylvie gemeinsam mit dem in sie verliebten Schüler Raoul Martinon (Jean-Gabriel Nordmann) aus einer Laune des Mitleids die gefiederte Direktorengattin freilassen.
Als Madame Bobignot davon berichtet, dass ihr Kater Euklid einen der Vögel gefressen habe, hofft Chabert, dass seine Gattin noch lebt.

Nicht nur Chabert vermisst seine zum Vogel verwandelte Gattin. Auch Madame Bobignot (Madeleine Barbulée) vermisst ihren gefiederten Gatten.

 

Raoul Martinon (Jean-Gabriel Nordmann) macht Sylvie (Claude Jade) den Hof.

Sylvie versteht sich auch auf Unnahbarkeit à la Catherine Deneuve. Claude Jade und Jean-Gabriel Nordmann in „Les oiseaux de lune“ (Die Mondvögel)

Als sich die aufsässigen und unbegabten Schüler Duperrier (Philippe Noël) und Arbelin (Daniel Rivière) gewaltsam und unzüchtig an Sylvie vergehen wollen, ist ihr Dasein als Vögel besiegelt. Arbelin schreit, er ersticke vor Liebe zu Sylvie, Duperrier pflichtet ihm bei, er krepiere bald daran. Valentin schreitet ein und bittet die beiden Schüler in sein Zimmer. Wer immer ihm dorthin folgt, kehrt als Vogel zurück.

Claude Jade (Sylvie), Daniel Rivière (Arbelin), Philippe Noël (Duperrier), Jacques Duby (Valentin)

Auch die von Chabert zur Ermittlung gegen die Vogelbefreierin Sylvie gerufenen, arretierungswütigen und groben Inspektoren Malfrin (Henri Lambert) und Grindet (Pierre Arditi) schnalzen nicht ungestraft mit der Zunge, wenn sie Sylvie in die Mangel nehmen.

„Wie man’s nimmt. Sie hat einen flachen Hintern.“ Pierre Arditi, Claude Jade und Henri Lambert in „Les oiseaux de lune“

Der spätere Star Pierre Arditi, der 1966 am Theater debütiert hatte und in jener Zeit erste Nebenrollen in Fernsehfilmen erhielt, hatte gerade die Titelrolle in Roberto Rossellinis Fernsehfilm „Blaise Pascal“ gespielt. In „Les oiseaux de lune“ ist es sein Partner Henri Lambert, der als Inspektor Malfrin Sylvie zum Verschwinden des Professor Bobignot befragt („Ich hatte dir ja gesagt: Das Püppchen suchen.“) – Arditi hat Caude Jade mit hochgezogener Augenbraue und Schlafzimmerblick zu taxieren, während sie schildert, wie sie von Bobignot bedrängt wurde, bis Valentin auftauchte und ihn in sein Büro bat. Wenn Malfrin ihn darauf hinweist, dass sie ein „hübsches Ding“ und „herzig“ sei, meint er: „Wie man’s nimmt. Sie hat einen flachen Hintern.“ Klar, dass die beiden nun Valentin in dessen Büro folgen müssen.

Nachdem sie Sylvie (Claude Jade) verhört haben, werden auch Grindet (Pierre Arditi) und Malfrin (Henri Lambert) von Valentin (Jacques Duby) in sein Büro gebeten.


Eingeweiht in die Verwandlungen in Valentins Büro sind allein Sylvie, Chabert und dessen Tochter Elisa. Die Avancen, die der schmucke Grindet Sylvie gemacht hat, sind der als reizlos geltenden Elisa ebenso wenig entgangen wie Malfrins „Sucht das Püppchen!“ Sie attackiert Sylvie: „Sie ist ein richtiges Püppchen. In der Tat. Sie sind also Valentins Geliebte?“ Ihre Antwort, dass sie niemandes Geliebte sei, hilft Sylvie nicht weiter. Elisa bedauert, nicht so begehrt zu werden wie Sylvie: „Wenn Bobignot mir den Hof gemacht hätte, so hätte Valentin ihn nie und nimmer in einen Vogel verwandelt.“

Zwei Jahre zuvor hatte Claude Jade in Jean-Christophe Avertys Verfilmung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ als ungeliebte Helena ähnliche Tiraden gegen Hermia – in Aymés „Mondvögel“ ist sie die junge Frau, der alle Männer nachstellen wie es Helena bei Shakespeare erst nach Pucks Zauber widerfährt. Martinon wirbt weiter um Sylvie. Dass sie den Männern gefalle, pariert sie mit „Kann ich etwas dafür, wenn die beiden Esel auf mich losgegangen sind?“ Martinon meint, sie denke sich nichts dabei, wenn sie sich Mühe gäbe, den Lehrern, den Schülern, Valentin und auch ihm zu gefallen. „Du meinst im Ernst, ich stürze mich in Unkosten, um dir zu gefallen?“, lacht Sylvie ihn aus.
Um ihre Hand anhalten würde er nur, wenn sie aufhöre, mit den Wimpern zu schlagen und beide Hände auf ihr Herz zu pressen: „So vertreibst du mir mein Fieber.“ Sylvie, die auch kratzbürstig sein kann, braucht keine Romantik, ebensowenig wie materielle Sicherheit oder einen Versorger. Sie würde ihm sogar aufs Land folgen, wenn er es nur zu einer Stelle als Bienenzüchter brächte. Sylvies Hinweis, dass Valentin langsam alle in Vögel verwandelt, amüsiert ihren Verehrer vorerst.

Sylvie (Claude Jade) und Martinon (Jean-Gabriel Nordmann) wünschen sich eine unkonventionelle Zukunft.


Beim Aktwechsel aufs Dach bringt Sylvie die Kommissare im goldenen Käfig an die frische Luft und sogleich Nachschub für Valentins Büro: Monsieur Parisson (Jean Péméja), der seinen armen Sohn Étienne (Claude Aufaure) demütigt.

Sylvie (Claude Jade) bringt mit Parisson (Jean Péméja) den nächsten zukünftigen Vogel aufs Dach der Schule.

und wieder bittet Valentin in sein Büro…

Während Sylvie erneut von Chaberts Tochter Elisa attackiert wird, freut sich Etienne, dass sein Papa ein Vogel in einem Kästchen ist. Als Ariane Chabert: Josyane Heuillet.

Valentin hat sich als Sylvies Beschützer erwiesen. Auf dem Dach sagt sie ihm, dass er ein außergewöhnlicher Mann, ihr aber auch bange vor ihm sei. Valentin gesteht Sylvie, dass er noch nie jemanden geliebt habe wie sie, er ihr gehorchen wolle und gefügig jeden Wunsch von den Augen ablesen könne. Ob sie ihn auch liebe, könne sie nicht beantworten. Mit betonter Treuherzigkeit, erklärt sie, nicht zu wissen, was Liebe ist. Die Sylvie ist „Les oiseaux de lune“ steht als  Beispiel für Claude Jades Aussage einige Jahre später: „Kino, Fernsehen oder Theater macht für mich wirklich keinen Unterschied. Eine schwer zu verteidigende Rolle ist es, die mich glücklich macht.“ Insofern ähnelt Sylvie in ihrem unschuldigen Selbstinteresse an eine ihrer Lieblingsrollen, die Eléonore in Gérard Brachs „Le bateau sur l’herbe“

Im dritten Akt auf dem Dach missverstehen sich Sylvie und Valentin, wenn sie sagt, sie träume von einen wunderbaren jungen Mann, der die Schranken der Jugend, des Provinzlebens zerbricht und sie ins wahre Leben führe. Alle Schranken wolle er in Trümmer schlagen, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen und erfüllen, noch ehe sie die Zeit gefunden habe, sie zu äußern, ähnlich dem Fremden am Ende von „Baisers volés“. Doch Sylvies Ziel ist das Abitur, ihr Traum ist es, ihr Examen hinter sich zu bringen. All diese Unschuld zeigt sich, als Valentin verspricht, alles würde erreicht, wenn sie zusammen gearbeitet hätten. „Das wollte ich nicht sagen…“, lenkt Sylvie ein und nach einem Schweigen: „Un, ja, ich hatte mir gedacht, wo Sei doch imstande sind, jemanden in einen Vogel zu verwandeln, könnten Sie mir auch zu meinem Abitur verhelefn, soagr wenn meine Noten ungenühgend wären.“ Als Valentin gesteht, dass er dazu nicht die Macht habe, kommt von Sylvie nur ein sehr enttäuschtes „Ah“ – und ein erneuter Wechsel mit zärtlichem Blick: „Was ich aber sicher weiß, ist, dass ich Sie sehr liebhabe, Valentin und sehr ist noch gelinde ausgedrückt.“

Just taucht Martinon auf, der Valentin darauf hinweist, dass zwei Schulinspektoren gekommen seien – und Martinon Sylvie sogleich darauf hinweist, dass ihre Augen vom Gespräch mit Valentin noch ganz schwer von Zärtlichkeit seien. Seiner Erklärung, dass sie sich Valentin warmhalte, was er verstehen könne, schmettert ihm Sylvie entgegen: „Ich mag den amüsierten und gönnerhaften Ton nicht, den du jedesmal anschlägst. Zwischen dir und einem Mann, der die Leute in Vögel verwandelt, würden wohl nur wenige Frauen schwanken.“
Als Sylvie erklärt, dass sie Angst um Martinon habe, beruhigt er sie, dass sie ihm ja nicht öffentlich um den Hals falle. Was diese sogleich tut – und Valentin auftaucht. Sylvies Liebe zu Martinon schwächt nun seine Zauberkraft.

Der Kuss zwischen Sylvie (Claude Jade) und Martinon (Jean Gabriel Nordmann) verändert auch Valentins Fähigkeit des Zauberns. rechtes Bild v.l.: Pascale de Boysson, Françoise Arnaud, Pierre Moncorbier, Marcel Cuvelier, Jacques Duby, Claude Aufaure (im Hintergrund), Claude Jade und Jean-Gabriel Nordmann.

Weil er ihre Männer in Schnecken verwandelt hat, wollen Elisas missratene Schwestern Martine (Françoise Arnaud) und Ariane Chabert (Josiane Heuillet) Valentin aufhalten. Valentins Büro verlassen die Schwestern Chabert als Monstrositäten mit Pelikanköpfen. Ihr Vater (Marcel Cuvelier) nimmt es inzwischen als gegeben hin.

Auch die bürokratischen Vertreter der Schulbehörde und schließlich fast alle Menschen um Valentin, Sylvie, Martinon und Chabert sind bald Vögel. Es wird zum Running Gag, wenn Jacques Duby seine Spielpartner mit sich von der Bühne nimmt, sie enden als Vögel und mit dem sich verändernden Mond auch als Schnecken oder Pelikane, wie die missratenen Schwiegersöhne und weiteren Töchter Chaberts.

Bei Antoine Morin (Marius Balbinot) gereicht Valentins Zauber nur noch zu einem Flügel.

Jacques Duby (1922-2012) nahm als Kind Sprechunterricht, um seine Schüchternheit zu überwinden. Nachdem er das Conservatoire de Paris absolviert hatte und 1950 im Theater debütierte, hatte er 1954 mit Marcel Aymés „Clérembard“ und 1955 mit dessen „Les oiseaux de lune“ seinen Durchbruch am Theater.
Im Kino spielte Jacques Duby häufig zerbrechliche Figuren und hatte seine bekanntesten Rollen als verschmähter Liebender, so als Simone Signorets mit Raf Vallone betrogener Ehemann Camille Raquin in Marcel Carnés „Thérèse Raquin“ oder als Danys Carrels mit Gérard Philipe betrogener Mann in „Pot-Bouille“. Und in „Christine“ verliebt sich seine Liebste (Romy Schneider) in einen feschen Leutnant (Alain Delon).  So war es nichts Ungewöhnliches, in der filmischen Wiederholung seiner berühmtesten Theaterrolle erneut die Angebetete (Claude Jade als Sylvie)  an einen anderen zu verlieren.

Verschmähte Liebe: Sylvie (Claude Jade), Martinon (Jean-Gabriel Nordmann) und Valentin (Jacques Duby) in Marcel Aymés „Die Mondvögel“

Sylvie akzeptiert Valentins Verhalten, doch aus aufrichtiger Liebe zu Martinon geht sie soweit, Valentin zu sagen, dass sie mit dem Schüler fortgehen wolle. Martinon ist über soviel Offenheit entsetzt und beide malen sich aus, wie Valentin sie aus verschmähter Liebe Pein in Vöglein verwandeln würde. Der federleichte Dialog zwischen Sylvie und Martinon in Erwartung der Metamorphose, bei dem sie sich in den Armen halten, ist die Climax des Stücks.

Sylvie (Claude Jade) und Raoul Martion (Jean Gabriel Nordmann) am Ende der „Mondvögel“

Raoul Martinon sträubt sich erst, da er an seinem Körper hänge, doch Sylvie kennt nun keine Angst, will mit ihm ein Nest bauen im Gezweig einer Weide am Rand einer Quelle: „Schließ mich fest in deine Flügel.“ Valentin wird anerkennen, dass Sylvie ihr wahres Glück bei Raoul Martinon findet, der ebenso phantasiebegabt ist wie der Lehrer selbst.
Just kehren neben Madame Bobignot, die ihren Gatten nackt auf einem Ast sitzend fand, die Verwandelten zurück, nackt und improvisiert bekleidet. Während Sylvie und Martinon sich weiterhin umarmen, erwisen sich die Zurückgekehrten keineswegs als ausgestoßen, sondern als befreit und beglückt. Valentins Frau Elisa erscheint fröhlicher denn je und Valentin ruft: „Nicht um eine Illusion handelt es sich, vielmehr um ein Loch in der Mauer, um eine ewig klaffende Bresche“. Und Sylvie ergänz „Mitten in den Himmel hinein!“ Alle tanzen und singen im Chor „Wir sind die kleinen Vögelein, tirili tirili, tirili“.

Finale. Unteres Bild von links: Daniel Rivière, Philippe Noël, Madeleine Barbulée, Pierre Arditi, Henri Lambert, Françoise Arnaud, Josiane Heuillet, Luce Garcia-Ville, Marcel Cuvelier, Pascale de Boysson, Jacques Duby, Jean-Gabriel Nordmann, Claude Jade.

Claude Jade entwickelt sich als Sylvie von der herumkommandierten und gedemütigten Sekretärin zu einer sich von Zwängen befreienden und selbstbewusst Liebenden. Dabei ist Sylvie keineswegs eine reine Unschuld. Sie arbeitet als Sekretärin, weil sie ihr Abitur nicht schafft. Ihre Koketterie paart Claude Jade mit Empathie für ihre Mitmenschen. Sie nimmt sogar die fummelden Schüler Arbelin und Duperreier vor Valentin in Schutz. In fröhlicher Naivität vertraut sie dem Vöglein im Käfig, von dem sie noch nicht weiß, dass es Madame Chabert ist, an, dass sie für Valentin Gefühle hegt. Und sogleich flirtet sie mit Martinon, der sie heiraten will. Aber ohne jede Romantik. „Tu doch nicht so, als fielst du vom Mond“, erkennt Martinon, der Sylvie und sich als geschlechtslose Engel sieht und ihr im gleichen Zuge sagt, dass sie nicht so toll gebaut sei. Diese Abwesenheit jeglicher Gefühlsduselei zwischen Claude Jade und ihren Hauptpartnern Jacques Duby und Jean-Gabriel Nordmann macht das Liebesdreieck so erfrischend, unverlogen und untheatralisch. Claude Jades Spiel ist temporeich, frech, dann wieder von einer überzeugenden Unschuld.



Claude Jade freute sich sehr, an diesem wunderbaren Ort, über dem noch immer der Schatten Charles Dullins liegt, wieder Theater zu spielen. Und natürlich, Luce Garcia-Ville, ihre Mutter aus „Henri IV“ wiederzusehen – und eine großartige Besetzung.

Jacques Duby, Claude Jade, Pascale de Boysson, Jean-Gabriel Nordmann, Marcel Cuvelier, Madeleine Barbulée, Pierre Arditi, Henri Lambert, Daniel Rivière, Philippe Noël, Josiane Heuillet, Françoise Arnaud, Luce Garcia-Ville, Claude Aufaure, Jean Péméja, Marius Balbinot, France Gabriel, Pierre Montcorbier, Jean Goulot



Pascale de Boysson, Jacques Duby, Claude Jade


Das filmgerecht inszenierte Stück wird drei Jahre später im Fernsehen ausgestrahlt. André Barsacq selbst erlebt die Ausstrahlung nicht, er stirbt 1973.

André Barsacq wurde 1909 in der Nähe der Krim geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Familie nach Frankreich. Dort begann er eine Ausbildung an der École nationale supérieure des arts décoratifs in Paris zum Innenarchitekten und Bühnenbildner. 1927 begann er seine Arbeit als Bühnenbildner und Kostümbildner für „Volpone“ in der Inszenierung von Charles Dullin. Der 18-Jährige hatte damit Erfolg und arbeitete von nun an für Antonin Artaud und Jean-Louis Barrault . Er wurde bekannt für seine klare Synthese der Dekoration mit Text und Kontext.  Er stattete einige Kinofilme von Marcel L’Herbier, Max Ophüls und Jean Grémillon aus, bis er selbst inszenierte, am Théâtre de l’Atelier, an der Comédie-Française und am Odéon. Schließlich wird er Direktor des Théâtre de l’Atelier.  Er inszeniert am Theater 80 Stücke und ein Dutzend Fernsehfilme, seine Schauspieler sind Jean-Paul Belmondo, Brigitte Bardot, Maria Casarès, Jacques Perrin, Michel Piccoli, Philippe Noiret, Marina Vlady, Delphine Seyrig, Charles Denner, Edwige Feuillère, Jeanne Moreau, Jean Rochefort… Er stirbt bei den Vorbereitungen zu „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am 8. Februar 1973.

 

„Les oiseaux de lune“ hatte nach der Uraufführung 1955 mit Jacques Duby und Françoise Rasquin in den Hauptrollen eine Wiederaufnahme mit Claude Laydu als Valentin und Anne Doat als Sylvie. In der deutschen Erstaufführung spielten Olaf Torsten (Valentin), Gisela Stein (Sylvie), Elisabeth Opitz (Elisa) und Gunther Malzacher (Martinon, er hatte auch eine Rolle neben Claude Jade in „Rendezvous in Paris“). Harry Belafonte produzierte 1959 die Broadway-Uraufführung mit Wally Cox als Valentin, Phyllis Newman als Sylvie, Anne Meacham als Elisa und Mark Rydell as Raoul Martinon. Die deutsche Verfilmung durch Peter Zadek, in der Klaus Kinski (Valentin), Ilse Pagé (Sylvie) und Gisela Trowe (Elisa) sowie Grete Weiser als Madame Bobignot spielten, gilt als verschollen. Hier die Version von André Barsacq, der auch die Uraufführung isnzeniert hatte.